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8 Jahre Mentoring: Eine Jubiläumsgeschichte
Eba’a im Interview
2019 matchen wir bereits das 400. Tandem bei kein Abseits! – im selben Jahr absolviert die erste Mentee ihr Abitur. Wir haben uns mit Eba‘a getroffen und hören, welchen Einfluss der Verein und ihre Mentorin auf Eba’as Leben hatten.
Foto: Rasmus Bjerregaard
Es ist 2012 in einer Turnhalle an der Mark-Twain-Grundschule in Berlin-Reinickendorf. Gemeinsam mit 14 anderen Mädchen ist die 11-jährige Eba’a seit einem halben Jahr Mitglied der Mädchen-Fußball AG von kein Abseits!. Von ihrer anfänglichen Ball-Phobie ist nichts mehr zu erkennen. Das besondere des heutigen Tages sind die Menschen auf der Zuschauerbank. Dort sitzen die zukünftigen Mentorinnen der Mädchen und warten gespannt auf das Kennenlernen nach dem Training. Alle sind etwas aufgeregt, denn es ist der allererste kein Abseits! Mentoring-Durchgang in Reinickendorf, gewissermaßen ein Testlauf, an dem vieles hängt.
Eba’a ist ein sehr zurückhaltendes und schüchternes Mädchen. Zur Fußball AG hat sie sich angemeldet, weil ihr unsere Vereinsgründerinnen Gloria und Sinem bei der Vorstellung der AG in ihrer Klasse auf Anhieb sympathisch waren und sie die Chance gewittert hat, ihre Angst vor Bällen zu überwinden.
Schon damals war für Eba’a das Vertrauensverhältnis ausschlaggebend für den persönlichen Veränderungsprozess. Die Teilnahme am Mentoringprogramm war für sie der nächste Schritt der Herausforderung. Bei der Vorstellungsrunde ist ihr eine der Frauen auf Anhieb sympathisch und heimlich hofft sie, ihr zugeordnet zu werden.
Es läuft jedoch anders und Eba’a lernt ihre Mentorin Anna kennen. Anna ist komplett anders als Eba’a: Sie schaut Menschen immer direkt in die Augen, strahlt Selbstbewusstsein aus und wirkt wie eine Frau mit starkem Charakter. „Ich hatte am Anfang ein bisschen Angst vor Anna“, erinnert Eba’a sich heute.
Ihren Ungleichheiten zum Trotze wärmt das Tandem mit der Zeit auf. Anna fordert Eba’a auf eine Art, die sie vorher nicht kannte. „Bei Anna musste ich immer ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ antworten. Ich fand das am Anfang sehr schwer und habe es nur bei unseren Treffen gemacht. Dann habe ich aber auch in anderen Situationen angefangen zu überlegen ‚Wie würde ich antworten, wenn Anna jetzt hier wäre?‘. Dank ihr kann ich heute meine Meinung deutlich sagen.“
Das Vertrauensverhältnis zwischen Eba’a und Anna wächst immer weiter. Ein besonderer Moment war, als Eba’a aufgefallen ist, dass ihre eigene Gemütsverfassung sich auch auf die von Anna überträgt. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass es Anna richtig mitnimmt, wenn es mir nicht gut geht. Da wurde mir klar, dass sie sich wirklich für mich interessiert und mir helfen will. Bisher kannte ich das nur von meiner Mutter.“
Eba’as Mutter ist auch eine starke Frau und auch ihr kann sie sich anvertrauen. Trotzdem ist es etwas anderes mit Anna. „Gewissermaßen hat Anna einen viel objektiveren Blick, der nicht von Mutterliebe verwischt ist. Sie kann klar zwischen ihren Gedanken und Gefühlen trennen und sagt mir die Dinge, wie sie sind und wie meine Mutter sie mir nicht sagen könnte.“ Diese neue Bezugsperson war ungemein wichtig für Eba’a.
Lange Zeit hat Eba‘a sich gefragt, warum kein Abseits! gerade Anna für sie ausgewählt hat – dachte sogar, es war ein Versehen. Doch sie wusste schnell, dass es das Beste war, was ihr passieren konnte. „Ohne Anna wäre ich nicht die Person, die ich jetzt bin. Ich hätte mich niemals so stark weiterentwickelt, wie ich es getan habe.“ Ihre Wunschmentorin damals in der Turnhalle wäre ihr wahrscheinlich zu ähnlich gewesen, sagt sie im Nachhinein. Sie habe jemanden gebraucht, der nicht nur ihr Potenzial erkenne, sondern dieses auch aus ihr herausholen würde.
Außerdem war Eba’a nicht nur schüchtern. Ihre starke Persönlichkeit kam bereits vor Start des Mentorings und auch mehrfach während des Programms in unvorhersehbaren Situationen an die Oberfläche, sodass auch Annas Grenzen getestet wurden. Deshalb ist es so wichtig, dass der Verein Mentor*innen und Mentees im Vorfeld kennenlernt, um gut zueinander passende Tandems zusammenzubringen.
Während ihrer gemeinsamen Zeit haben Anna und Eba’a viele gemeinsame Ausflüge gemacht, wovon einige sie besonders geprägt haben. Sie besuchten zum Beispiel regelmäßig die Stadtteilbibliothek Reinickendorf-West, bei der Eba’a später 8 Monate Jugendengagement leistete. Gemeinsam ließen sie sich durch den Bundestag führen und die verschiedenen Abteilungen zeigen und erklären. Am Girls Day nahmen sie an einem Programm in der Charité Berlin teil, da sich Eba’a für Medizin und Forschung interessierte – und dies bis heute tut: aktuell macht sie ein Praktikum in einer medizinischen Einrichtung.
Nachdem der erste Mentoring-Durchgang von kein Abseits! seinen erfolgreichen Abschluss fand, halten Anna und Eba’a regelmäßig Kontakt.
Auch als Eba’a 5 Jahre später sehr krank wurde, war Anna da. Jeden Tag sprachen oder schrieben sie miteinander und oft war ihre Mentorin die einzige, die Eba’a an schwierigen Tagen aufmuntern konnte. Statt Blumen schenkte sie ihr ein Buch über Emanzipation. Dieses Buch, erinnert sich Eba‘a, war zwischen all der weißen Trostlosigkeit des Krankenhauses eine Art Zuflucht und Motivation, durch den Tag zu stehen. Ohne dass sie weiß warum, konnte Anna sie schon immer richtig einschätzen. Sie habe ihr nicht nur Stärke zugesprochen, sondern ihr gezeigt, wie sie diese in sich selbst finden und entwickeln könne.
Heute geht es Eba’a wieder besser. Sie ist in verschiedenen Projekten von kein Abseits! engagiert, machte sogar ein Praktikum im Verein und hat im Sommer 2019 mit 18 Jahren erfolgreich ihr Abitur absolviert. Von der Scheu des 11-jährigen Mädchens von damals ist wenig zu spüren. Sie gibt gerne Interviews vor Publikum und für die Presse, in denen sie über ihr Engagement für kein Abseits! und die Auswirkungen des Vereins auf ihr Leben spricht. Stolz erzählt sie, dass sie inzwischen offen auf fremde Menschen zugehe und sich mit der Zeit ein Netzwerk an Kontakten aufgebaut habe, zu denen sie ohne Anna und den Verein niemals ein so vertrauensvolles Verhältnis hätte.
Was genau sie machen will, weiß Eba’a noch nicht. „Wahrscheinlich ein Studium im sozialen Bereich oder Medizin“, überlegt sie. Bevor sie sich entscheidet, möchte sie einige Orientierungspraktika machen. Einer Sache ist sie sich aber zu 100% sicher: „Meine Mentorin ist eine meiner engsten Bezugspersonen und besten Freundinnen geworden. Egal für welchen Weg ich mich entscheide – Anna wird mich immer unterstützen und mir in allen Lebenslagen mit ihrem Rat beiseite stehen!“
Interview und Text: Kalina Duschek