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Geschichten aus dem Mentoring
Erfahrungsbericht der Mentorinnen Christina und Brigitte zu ihrer gemeinsamen Zeit mit ihren Mentees Ribal & Fatima im Rahmen des Mentoring-Programms
Das 1:1 Mentoring begründet eine der drei elementaren Säulen unseres Vereins. Die Mentor*innen stehen den Kindern und Familien bei, fangen auf und füllen Lücken, wo immer es nötig ist. Sie geben Rückhalt bei der Erledigung von Hausaufgaben, haben stets ein offnes Ohr für Sorgen, bilden einen festen Bezugspunkt und bieten Aktivitäten mit ganz viel Spaß! Jedes Tandem schreibt so seine ganz eigene Geschichte, beruhend auf den diversen Erfahrungen und Lebenshintergründen, die die Teilnehmer*innen des Programms mit sich bringen. Schon über 500 Tandems hat kein Abseits! e.V. auf diese Weise vermittelt und jedes Jahr kommen neue Teilnehmer*innen hinzu, die sich einen Mentor oder eine Mentorin wünschen. Die Nachfrage ist insbesondere in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren enorm gestiegen.
Dieser Erfahrungsbericht gibt Einblicke in die außergewöhnlichen Begegnungen der Tandems Christina & Ribal und Brigitte & Fatima und beschreibt das Mentoring bei kein Abseits! aus Mentor*innen Perspektive.
Christina & Ribal: Mobilität, Selbstständigkeit und ganz viele Emotionen
„Als ich Ribal kennenlernte, war er 10 Jahre alt, lebte mit zwei älteren Brüdern und seinen beiden Eltern in einer Dreizimmerwohnung in Reinickendorf. Er hat ein enges Verhältnis zu seiner Familie, ist meistens zu Hause und mit ihnen zusammen. Als wir uns kennenlernten, war Ribal sehr neugierig und aufgeweckt, aber auch „ahnungslos“, was eigene Interessen oder Gefühle anging. Auf die Fragen „wozu hast Du Lust?“ oder „was willst Du unternehmen?“ wusste er selten etwas zu sagen. Ich habe daher konkrete Dinge vorgeschlagen. Wir trafen uns in der Regel jeden Samstag- mittags bis abends, von 14 bis ca. 20 Uhr.
Ribal kocht und backt gerne – das war unser gemeinsamer Nenner. Von Anfang an haben wir in der Regel gemeinsam gekocht und gebacken. Manchmal haben wir auch gemeinsam gegessen, oft hat er das fertige Essen jedoch zu seinen Eltern mit nach Hause genommen. Beim Kochen kam er am besten zurecht, wenn er deutliche Ansagen bekam und Dinge „abhaken“ konnte. Er hatte Spaß, wenn er bei Rezepten Punkt für Punkt „erledigte“. Zahlreiche Rezepte für Tomatensoße, Pizza, Franzbrötchen, Ravioli und Lasagne habe ich aus diesem Grund in „einfacher Sprache“ und Schritt für Schritt mit ihm geteilt, um ihn zu motivieren. Die erste Zeit habe ich mich darauf fokussiert, ihm alles Mögliche näher zu bringen, was mir selbst als Kind Spaß gemacht hat: Kochen, Backen, Einkaufen – und dabei Inhalte und Preise vergleichen, Pflanzen und Bäume bestimmen, Picknicken. Da wenig Bereitschaft da war, sich weit zu bewegen, sind wir oft zu dem nahegelegenen Schrebergarten einer Freundin von mir gegangen und haben dort Zeit verbracht. Für Ribal war es wichtig, Routinen zu entwickeln. Auf dem Fußweg zum Schrebergarten rekapitulierten wir vergangene Treffen. Es zeigte sich, dass ihm das half eigene Gefühle wahrzunehmen und zu reflektieren.
Um einen größeren Radius um Ribals Wohnort zu bekommen und seine Mobilität zu erhöhen, haben wir eine Phase damit verbracht, Fahrradfahren zu lernen. Ich organisierte ein Rad und wir haben unzählige Meter mit Fahrradübungen zurückgelegt. Am Anfang hatte Ribal noch große Angst, irgendwann fuhr er dann tatsächlich langsam eifrig ganze 10 km neben mir. Als Corona begann, haben wir unser Kochen & Backen via Skype/Zoom verlegt und jeweils Ravioli, Pizza oder Franzbrötchen zubereitet. Wir haben uns aber auch, trotz Corona, im Garten getroffen und selbst bei Kälte und ungemütlichen Wetter schöne Samstage verbracht. Im Wesentlichen mit Teetrinken und Buch- Vorlesen/Selbstlesen. Nachdem wir uns wieder regelmäßiger live sehen konnten, sind wir nicht mehr zu dem ursprünglichen Koch- Treffen zurückgekehrt, sondern haben die Sommertage im Garten verbracht, manchmal mit Lagerfeuer, manchmal mit Schnitzen, Ostereier auspusten, Sirup kochen.
Als die Familie von Reinickendorf nach Lichtenberg zieht, wechselt Ribal die Schule nicht. Von nun an macht er ganz selbstverständlich alle Fahrten alleine mit Bus, Bahn und Tram. Er ist viel selbstständiger geworden. Auch Wünsche und Gefühle kann er mittlerweile viel besser äußern! Unsere Samstage haben einen „besonderen Charakter“ und bleiben eine feste Größe in Ribals Alltag. Inzwischen essen wir meist mit der gesamten Familie zusammen („Huhn Mandi“, mein Leibgericht!). Ich habe Ribal lieb gewonnen und einen herzlichen Draht zu der gesamten Familie aufgebaut. Ich bin gespannt, wie sich unsere Verbindung weiter entwickeln wird! Wir bleiben auf jeden Fall ein Team!“
Brigitte & Fatima: Neue Bildungschancen, Integration und eine neue Oma
„Fatima war bei unserem Kennenlernen im Februar 2020 gerade 11 Jahre alt geworden. Sie war ein fröhliches, aufgeschlossenes Kind. Die Eltern lebten mit ihren fünf Kindern in einem Hotel in drei kleinen Zimmern, welches als Geflüchtetenunterkunft genutzt wurde. Das jüngste Kind, Iman, war drei Jahre alt. Aufgrund einer Behinderung hat Iman oft und lange geschrien. Die Eltern waren Analphabeten und konnten fast kein Deutsch sprechen und verstehen. Ihre Möglichkeiten Fatima zu unterstützen, waren sehr begrenzt. Die größten Herausforderungen, die sich der Familie stellten, waren die Wohnsituation, die Corona-Pandemie und das Homeschooling. Noch bevor das Homeschooling begann, hatte Fatima meine Hilfe bei Schulaufgaben gesucht. Ihre Sprachkenntnisse waren noch nicht gut. Sie hatte große Schwierigkeiten, Texte zu verstehen. Solange wir uns noch persönlich treffen konnten, habe ich in der Unterkunft mit ihr gelernt und dabei die Probleme voll mitbekommen: Kein Platz, keine Ruhe. Wegen Corona mussten unsere Treffen dann lange Zeit durch FaceTime Anrufe ersetzt werden.
Fatimas großes Ziel war es, den Übergang ins Gymnasium zu schaffen. Als sie mir das erzählte, wiederholte sie gerade die 4. Klasse. Ihr fehlten die Grundregeln des Rechnens und der deutschen Sprache. Nach Einführung des Homeschoolings habe ich montags bis freitags je zwei bis drei Stunden, oft länger, mit Fatima gelernt. Ich nahm Kontakt mit der Klassenlehrerin auf, die sehr hilfsbereit war und mich unterstützte. Sonntags war unser Tag zum „Quatschen“ und Spaß haben.
Wir haben zusammen das Buch „Die Flaschenpost“ von Klaus Kordon gelesen, was Teil des Lehrplans war. Fatima fehlten nicht nur die Sprachkenntnisse zum Verständnis der Geschichte, sondern auch jegliche Kenntnis über die Geschichte Berlins. Über das gesamte Schuljahr hinweg haben wir abwechselnd den Text laut gelesen. Ich habe ihr Begriffe, Stadtteile und die politischen Hintergründe erklärt. Sie fand trotzdem keinen Zugang zu diesem Buch, was ich verstehen konnte. Wir legten es, nachdem es fertig gelesen war, zur Seite. Die andere Priorität neben der Hausaufgabenhilfe, war für die Familie eine adäquate Wohnung zu finden. Ich habe über drei Monate unzählige Stunden damit verbracht, erst alle nötigen Unterlagen und Bestätigungen zu beschaffen und eine Bewerbungsmappe zu erstellen. Täglich habe ich die Wohnungsinserate auf den entsprechenden Webseiten durchgesucht. Es war eine extrem frustrierende und zermürbende Erfahrung und ich war kurz davor aufzugeben. Ich hatte nicht mit einem derartigen Übermaß an Bestimmungen, Formularen und Bürokratie gerechnet. Ich habe dann den persönlichen Kontakt zu der zuständigen Jobcenter Sachbearbeiterin aufgenommen und ihr die Situation der Familie geschildert und mir mit viel Geduld ihre Unterstützung gesichert. Und es passierte das Unvorstellbare: Nach langem Bangen und nochmaligen schier unbegreiflichen bürokratischen Hürden bekam die Familie eine 6-Zimmer Wohnung!
Nach dem Umzug in die neue Wohnung, hat sich Fatimas Lern-Situation völlig geändert. Sie hat nun ihr eigenes Zimmer und kann dort relativ ungestört lernen. Und wir hatten eine gute Internet- Verbindung für unsere FaceTime Kontakte.
Fatima ging nun in die 5. Klasse an einer neuen Schule. Für eines der ersten Schulprojekte auf der neuen Schule sollten die Kinder selbst ein Buch für ein Plakat und eine Buchvorstellung wählen. Ich war sehr überrascht, als Fatima sich für „Die Flaschenpost“ von Klaus Kordon entschied. Wir lasen es wieder und dieses Mal verstand sie viel mehr. Das Plakat und die Präsentation waren sehr gut: Sie erhielt die Note 1. Inzwischen hat Fatima gelernt, weitgehend selbständig zu arbeiten und braucht mich nur noch für bestimmte Projekte. Sie hat eine beste Freundin gefunden und ist gut in einer Gruppe von Schulfreud*innen integriert. Zum Schuljahreswechsel wird sie aufs Gymnasium gehen.
Fatima hatte sich eine Oma gewünscht. Diese Position habe ich ausgefüllt und werde das auch weiterhin tun. Mit mir hat sie eine Vertrauensperson an ihrer Seite, die sowohl eine andere Generation als auch eine andere Kultur repräsentiert. Wir reden über Politik, gesellschaftliche Normen, Benimmregeln, Esskultur, usw. Fatima ist vielseitig interessiert und stellt viele Fragen Sie hat viel gelernt und ist in den gut zweieinhalb Jahren unserer Beziehung vom Kind zu einer selbstsicheren Jugendlichen herangewachsen. Fatima ist in sich gefestigt.
Sie wird ihren Weg gehen. Ich werde sie gerne weiter begleiten.“
Der nächste Mentoring-Durchgang beginnt bereits im November! Viele Grundschulkinder stehen auf unseren Wartelisten und wünschen sich sehnlichst einen Mentor oder eine Mentorin. Insbesondere in Reinickendorf werden dringend Mentor*innen gesucht. Werde jetzt Mentor*in bei uns und schenke einem Kind Rückhalt und neue Perspektiven. Alle Informationen zum Mentoring und zur Bewerbung findest du hier.